Nach meiner Entlassung aus Hindelbank mit meinem
acht Monate alten Sohn am 29. April 1968 im Alter von knapp 18
Jahren war ich total erschlagen und musste schauen, dass ich
irgendwie in meinem Leben zu Recht kam. Da waren mir Gedanken
wie u. a. "Akteneinsicht" völlig fremd. Wir zur Erziehung
eingewiesenen Jugendlichen waren ja so gebrochen worden und just
mit dem Leben davon gekommen, was leider nicht allen gelang. Am
Anfang war das für mich nur ein Überleben und ich wollte fast
wie eine Verfolgte nur vorwärts und ja nicht zurück schauen.
Erst im Laufe meines Lebens, als ich immer mehr Kraft bekam
durch all die familiären, beruflichen und sozialen Erfolge, die
ich verbuchen konnte, war ich im Stande, langsam Schritt für
Schritt auch meine Gedanken zu ordnen und den Blick zurück zu
wagen. Das wiederum dauerte Jahrzehnte, darum mein langes
Schweigen.
Gleichzeitig zeigt meine Erfahrung auch auf,
dass Menschen, die eine solch entsetzliche Behördenwillkür
erlebt haben, immer vorwärts schauen müssen, um ja nicht in ein
Tief zu fallen oder mit einer Kurzschlusshandlung oder gar
Selbstmord für immer aufzugeben. Anstatt aufzugeben und mich
einer langjährigen Therapie zu unterziehen, habe ich mich für
den Weg des Kampfes entschieden. Wut, Schmerz und Freude sind
bis heute mein Motor, um im Leben stets im "speedy Tempo" weiter
zu kommen. Diese drei haben mich zum Glück von Hass und
Selbstmitleid bewahrt, was leider nicht allen gelang, da der
innere Kern für immer zerstört wurde.
August 1968 - 1992 in Genf
In der Zeit vom August 1968 bis 1979 übte ich
eine Menge "Jobs" aus, wie Service in Kaffeebars, Restaurants,
Boutiques, als Hostess am Auto- und Erfindungssalon, zeitweise
Fotomodel, Aufträge für Bauernmalerei und "Fädlerin"* für einen
Programmierer.
(
*Ich musste
einen Kupferfaden auf bestimmte Weise durch Ösen fädeln, die auf
einer Platte angebracht waren. Die Ösen waren nummeriert, die
Nummern musste ich von einer Liste ablesen – man musste äusserst
genau arbeiten. Die Platten enthielten dann die Programmierung
für den Rechner. Diese Arbeit war für mich der erste Schritt in
die Informatik, die später auch zu meiner Berufung, meinem
"Lebensberuf“ wurde.)
(Die meisten Diplome,
Zeugnisse, etc. befinden sich auch bei der Uni
Freiburg).
1979
-1981
Diplôme de Secrétaire Aide-comptable, Ecole Persiaux/Institut
commercial et de langues (F/D/E/). Mehrmonatiger
Sprachaufenthalt in England.
Zudem fortlaufende Weiterbildungen, Kurse, Seminare u.
a. in der EDV.
1982
-1984
PC - Kursleiterin in verschiedenen Firmen in Genf
1984
-1989
In den 24 Jahren wo
ich in Genf gelebt habe, hatte ich es beruflich, im
International Labor Office (ILO) zur Chef-Kursleiterin mit dem
Titel „Chief Office Trainer on Micro-Computer“ sehr weit
gebracht. Man vertraute mir eine Mission zur Schulung von
Mitarbeitern in Süd- und Mittelamerika an; ich reiste nach
Trinidad Tobago, Lima, Costa Rica und schliesslich nach Mexiko.
Ich durfte zusätzlich Mitarbeiter aus der GATT und der OMPI
ausbilden; später arbeitete ich auch bei der UNO
1993
-1996
Microwin in Zürich
1996
-2001
Teachforce (Mandate: ETH-Zürich, American Express, SIKA AG und
Zürich Versicherung dreisprachig)
1994
-1999
Bedag Computer College (Kursleiterin im Auftragsverhältnis,
dreisprachig)
2000 -
Bedag Computer College
(Anstellungsvertrag/Volumenvertrag, dreisprachig)
2013
Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität
Freiburg Ehrendoktorat aus Anlass von «250 Jahre Recht in
Freiburg»
reiwillige
Mitarbeiterin, Spätstudium, politisches Engagement
(Letzteres siehe
unter "Chronologische Übersicht"). Auch engagiere
ich mich über Jahrzehnte als freiwillige Mitarbeiterin,
um meine eigenen Erfahrungen anderen Menschen zu
Verfügung zu stellen.
1983
-
1987
Hilfs-Trainingsleiterin im Behindertensport in Genf in
der Sportdisziplin „Schwimmen“.
1994
- 1997
Freiwillige Tätigkeit für sozial benachteiligte Menschen
bei der Amtsvormundschaft Zürich
1996
- 2004
Im Vorstand vom Zürcher Bridge Club (u. a. einrichten
der Informatik)
2001
- 2006
Freiwilliger Dienst "mit Strafgefangenen arbeiten"
(Gefängnisbesuche im Kanton Zürich)
1998
Referate zum Thema "Mobbing", "Entwicklung
der EDV", "Essstörungen" und "Der Weg aus dem Trauma"
2000
- 2002
Aus therapeutischen Gründe schrieb ich ein persönliches
Buch „Geboren in Zürich – Ursula Biondi“ eine Lebensgeschichte
2000 - 2003
Spätstudium: Ausbildung zur Dipl. Fachberaterin für
ganzheitliche Psychologie, Dipl. Ernährungs- &
Gesundheitsfachberaterin
2001
- 2010
Mitgründerin und Vorstandsmitglied als Aktuarin/Informatikerin
im Verein MediStAargau, die Verwirklichung der Mediation im Erwachsenenstrafrecht und die Mitwirkung bei der
Einführung der Mediation im Jugendstrafrecht. - www.medistaargau.ch
2004
- 2008
Fédération Suisse Bridge, Verantwortlich für die
Clubvorstellung, Interviews bekannter Bridgespieler und
Öffentlichsarbeit (Artikel in der Zeitung, Flyers. etc.)
2006 - 2008
„IDEM“ im Dienste eines Mitmenschen, regelmässige Krankenbesuche
in der Klinik Hirslanden
März 2008 bis heute
Initiantin und Projektleiterin der
Anlaufstelle: Administrativ-Versorgte 1942-1981 Moralische Wiedergutmachung
offizieller Entschuldigung durch Bundesrätin Eveline
Widmer-Schlumpf erfolgte am 10. September 2010!
Mitgründerin der "IG-Administrativ-Versorgte" mit dem Ziel
durch eine parlamentarische Initiative ein Gesetz zur
Rehabilitierung für der "A-V 1942-1981 zu erreichen. Die IG
wurde am 1. Oktober 2011 durch den "Verein RAVIA 1942-1983"
abgelöst.
2011
Mitgründerin des "Verein RAVIA 1942-1983" (Rehabilitierungder
administrativ Versorgten - Réhabilitation des internés
administratifs) in dem ich Vorstandsmitglied bin.
(Vizepräsidentin, Aktuarin, Website-Wartung, Mediensprecherin). Ich vertrete unseren Verein in der
„Parlamentarische Gruppe Fürsorgerische Zwangsmassnahmen“ und im
BJ in der Arbeitsgruppe - Betroffenenvertreter, Bund, Kantone, Städte &
Gemeinden, Landeskirchen, Bauernverband, Heimvertreter.
* Um allfällige Missverständnisse
auszuräumen, war es aus persönlichen Gründen mein Wunsch, nicht
die Präsidentin des Vereins zu sein.
2011
Weiterbildung in: Kunst, Literatur, Geschichte und in
Spanisch (In diesen Fächern habe ich einen grossen
Nachholbedarf)
2013
11. April 2013 - Gedenkanlass mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga
für die Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen der
Zeit vor 1981
6. Sept. 2013
Prix
Courage 2013 – Jurypreis«Der Preis ist Ausdruck unseres
Respekts»
Der diesjährige Prix-Courage-Jury-Preis geht an Ursula
Biondi, Bernadette Gächter, Jean-Louis Claude und Walter
Emmisberger.
Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität
Freiburg
Ehrendoktorat aus Anlass von «250 Jahre Recht in
Freiburg»
Auf Vorschlag des Dekanatsrats
hat die Fakultät den Ehrendoktortitel an Ursula
Müller-Biondi verliehen, der Mitbegründerin des Vereins
RAVIA (Rehabilitierung der administrativ Versorgten).
Durch ihre Erlebnisberichte und ihr Engagement, setzt
sie sich für die Rehabilitierung der Opfer
fürsorgerischer Zwangsmassnahmen in der Zeit vor 1981
ein. Mit 17 Jahren wurde sie selbst in die Strafanstalt
Hindelbank eingewiesen, da sie vor der Mündigkeit
schwanger war. Seit 2002 zieht sie die öffentliche
Aufmerksamkeit auf ähnliche Schicksale von Tausenden von
Menschen in der Schweiz, auf der Grundlage der
Rechtsvorschriften und –verfahren, die heute unvereinbar
mit der Garantie der Grundrechte erscheinen. Ihre
Forderung nach einer Reflexion auf die Inhalte des
Rechts, aber auch auf seine Rolle und seinen Status,
stellt einen «aussergewöhnlichen juristischen Verdienst»
dar.
Anbei nur ein Teil des von 2000-2008 als Einzelkämpferin
und danach 2008 bis heute mit dem Beobachter und später
zusammen mit anderen Betroffenen geführten Kampfes.
2000-2002
Ungeachtet meines sozialen und
beruflichen Erfolges liess mich das Handicap, einmal im
Leben in "Hindelbank/BE" eingesessen zu haben, mein
Leben lang nie mehr los. Von 2000-2002 arbeitete ich
meine traumatischen Erlebnisse aus meiner Jugendzeit
(sexueller Missbrauch, Freiheitsentzug und
Kindswegnahme) in Begleitung therapeutischer Hilfe,
in einem persönlichen Buch „Geboren in Zürich - Ursula
Biondi“ auf.
Nach
Hindelbank ohne Straftat - Limmat Zeitung Klaus Frei -
(LIZ)
19.10.2003
Vorlesung und Gespräch mit Ursula Müller-Biondi in der
Stadtbibliothek Dübendorf
22.10.2003
Eine
unzerstörbare Neugierde aufs Leben
«Der Zürcher Oberländer» / «Anzeiger von Uster» N.
Zurbuchen
Herbst 2003
Vorlesung von Ursula Müller-Biondi an der Frankfurter
Buchmesse
30.11.2003
Vorlesung und Gespräch mit Ursula Müller-Biondi im
Frauengefängnis Hindelbank
Frühling 2004
Vorlesung von Ursula Müller-Biondi an
der Londoner Buchmesse (ein Teil des Textes wurde auf
Englisch übersetzt)
06.05.2004
TV-STAR
strahlte das Interview Ursula Müller-Biondi über
"20-mal" aus
17.05.2005
Eine Spur Kultur - Vorlesung und
Gespräch mit der Autorin von "Geboren in Zürich" Ursula
Müller-Biondi - Quellenstube, Limmatstr.189 SPITEX.
2000 bis heute
Unzähliger E-Mail (Beispiel siehe
unten) und Briefversand, sowie Termine bei
Vormundschafts- Behörde, sowie damaliger
Gefängnisdirektorin Marianne Heimoz, Medien, etc., etc.,
um auf die Thematik der damaligen Behördenwillkür
aufmerksam zu machen.
Es begann mit der langjährigen Vorarbeit
und schliesslich mit der Veröffentlichung meines
Jugendschicksals mit dem Titel "Zur Erziehung ins
Gefängnis" von Dominique Strebel im Beobachter im März
2008, in dem ich mich der grossen Öffentlichkeit „geoutet“
und alle Risiken und Konsequenzen allein auf mich
genommen habe. - Der Beobachter lancierte gleichzeitig
einen Aufruf:
Administrativ
versorgt? Melden Sie sich!
Seit März 2008 bis heute
Initiantin/Projektleiterin der
Anlaufstelle "Administrativ-Versorgte 1942-1981"
Aktuarin, erstellen der Website, Mediensprecherin in
D/F/E) Am 30.04.2009 reichte NR Jacqueline Fehr
die 09.3440 – Interpellation Administrativ versorgte
Jugendliche. Moralische Wiedergutmachung ein.
Die offizielle Entschuldigung durch
Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf erfolgte am 10.
September 2010! Der grosse Durchbruch für die
weiteren Schritte!
Okt. 2010
Mitgründerin der
"IG-Administrativ-Versorgte" mit dem Ziel durch eine
parlamentarische Initiative ein Gesetz zur
Rehabilitierung für der "A-V 1942-1981 zu erreichen.
(Website-Wartung, Mediensprecherin. Nach kurzer Zeit
wieder 100%-itige Aktuarin)
Am 13.04.2011 reichte SR (damals NR)
Paul Rechsteiner die 11.431 –
Parlamentarische Initiative Rehabilitierung
administrativ versorgter Menschen ein. Die IG wurde
durch den "Verein RAVIA 1942-1983" abgelöst.
Seit 1. Okt. 2011
Mitgründerin des "Verein
RAVIA 1942-1983" (Rehabilitierung der
administrativ Versorgten - Réhabilitation des internés
administratifs), in dem ich Vorstandsmitglied bin.
(Vizepräsidentin, Aktuarin, Website-Wartung,
Mediensprecherin)
Ich vertrete unseren Verein u. a. auch
in der "Parlamentarische Gruppe Fürsorgerische
Zwangsmassnahmen“ und in der Arbeitsgruppe des
"Bundesamt für Justiz" (Betroffenenvertreter, Bund,
Kantone, Städte & Gemeinden, Landeskirchen,
Bauernverband, Heimvertreter).
2013
11. April: Gedenkanlass mit Bundesrätin
Simonetta Sommaruga für die Opfer fürsorgerischer
Zwangsmassnahmen in der Zeit vor 1981.
Als Vertreterin des Vereins RAVIA und allgemein der
administrativ Versorgten:
1. Runder Tisch: 13. Juni mit BR Simonetta Sommaruga.
2. Runder Tisch: 25. Oktober
Betroffenenforum: 16. Dezember
2014
Vorbereitungssitzung: 17. Januar
3. Runder Tisch: 29. Januar
Straftäter werden resozialisiert, was
ich persönlich auch richtig finde.
Aber wer gibt uns Systemgeschädigten
noch zu Lebzeiten unsere Menschenwürde wieder zurück?
Die mir damals auferlegte
vormundschaftliche Bürde trage ich seit über 40 Jahren!
Ich wurde im April 1967, 17 Jahre alt,
im fünften Monat schwanger in die Erziehungsanstalt
Hindelbank
eingewiesen.Dazu kommt, dass es keinen Unterschied in
der Behandlung der Braunen* (Erziehungsanstalt) und der
Blauen* (Strafvollzugsanstalt) gab – nur wurde der
Unterhalt der Blauen vom Staat, bezahlt, während die
Braunen ihren Unterhalt selbst bezahlen mussten. Für
diese Erziehungsmassnahmen bezahlten meine Eltern über
CHF 6'000.-- Und noch die lebenslange Notwendigkeit,
mich zu rechtfertigen: Ich war nicht im Gefängnis – diese immer
wiederkehrende Demütigung!
Beinahe wäre die Geburt meines Sohnes
zwischen 2:00 und 4:00 Uhr nachts in der Zelle erfolgt.
Zehn Tage nach der Geburt wurde mir mein Sohn aus
Gründen einer angeblich bevorstehenden Adoption für drei
Monate entzogen und erst nach langen Kämpfen wieder
zurückgebracht. Die Folgen: jahrelange Klaustrophobie,
Essstörungen, Verdrängungs- oder Rechtfertigkeitszwang.
Obwohl ich in meinem Leben "beruflich
sehr erfolgreich" war, bleibt eine seelische Wunde über
die damalige Ungerechtigkeit zurück, die bis heute nicht
mehr gutzumachen war.
Der Satz, „Ihr Fall ist juristisch
verjährt“, nützt mir nichts, denn ich werde immer wieder
mit dieser Frage konfrontiert. Darum bin ich bereit,
mich so lange ich lebe dafür einzusetzen, dass Personen,
die das gleiche oder ähnliches erlebt haben wie ich,
rehabilitiert werden können.
Darum meine Frage: An wen können
Systemgeschädigte sich wenden?
Ich würde mich über eine Reaktion von Ihnen freuen und
verbleibe
mit freundlichen Grüssen
Ursula Müller-Biondi
Dies ist nur ein kurzer Überblick über über den bald
14jährigen Kampf um Gerechtigkeit. Ein ausführlicher und
detaillierter Bericht ist in Bearbeitung und folgt zu
gegebener Zeit.
Trotz aller Widrigkeiten bereue ich den bis heute andauernden
Kampf für Gerechtigkeit nicht und werde mich für die Betroffenen
einsetzen, so lange mir dies möglich ist!